Geht nicht, gibt’s nicht!

Oder: Die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention fängt vor der eigenen Haustür an

Ein schöner Sommertag vor einem Jahr in Syke. Frau S. (Name bekannt) hatte einen Termin beim Amtsgericht Syke, um eine wichtige Angelegenheit zu erledigen. Nichts besonderes, sollte man meinen!

Zuversichtlich fuhr sie mit ihrem Rollstuhl zum Amtsgericht. Sie hat Multiple Sklerose (MS). An manchen Tagen reicht eine Gehhilfe, um sich fortzubewegen. Wenn sie an einem Tag nicht gut laufen kann, nutzt sie ihren Rollstuhl. Dies war so ein Tag und sie ging davon aus, das Amtsgericht Syke sei ein öffentliches Gebäude und für jeden frei zugänglich.

So steht es auch in § 49 der Niedersächsischen Bauordnung:

Barrierefreie Zugänglichkeit und Benutzbarkeit baulicher Anlagen:

In Gebäuden …für Menschen mit Behinderungen sollen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar (barrierefrei) sein. Zu diesen Gebäuden zählen auch Büro- und Verwaltungsgebäude, soweit sie für den Publikumsverkehr bestimmt sind, sowie öffentliche Verwaltungs- und Gerichtsgebäude.

Überrascht war sie, als sie mit ihrem Mann vor dem Eingang stand. Betreten hätte sie das Gebäude nur über Treppenstufen können. Sie fand auch nirgendwo ein Hinweisschild auf einen geeigneten Nebeneingang oder einen anderen Eingang – kein Wunder, denn es gibt keinen. Auch eine Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen, fehlte. „Ich fühlte mich für einen Moment wie ein Mensch zweiter Klasse.Drauusen bleiben

Zum Glück wurde Frau S. an diesem Tag von ihrem Mann begleitet. Er betrat das Gebäude und erkundigte sich, wie es nun weitergehen solle. Eine freundliche Mitarbeiterin begleitete ihn nach draußen, um sie sehr zu begrüßen. Sie entschuldigte sich für die Unannehmlichkeiten. Frau S. und die Mitarbeiterin einigten sich, dass ihr Mann vorab drinnen die Formalitäten erledige. Sie müsse dann leider solange draußen warten. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen ihr Mann und eine zuständige Sachbearbeiterin wieder heraus und gingen mit Frau S. zu einer kleinen Nebenstelle, um den Vorgang abzuschließen. Gut, dass es nicht geregnet hatte!

Leider war auch diese Notlösung eher „suboptimal“. Frau S. drängte sich beim Wechseln der Örtlichkeit das unangenehme Gefühl auf, sie mache ungewöhnlich viel Arbeit, musste die Sachbearbeiterin doch ihren üblichen Arbeitsplatz verlassen und nochmals einen PC hochfahren…

Auch die Nebenstelle war nicht wirklich barrierefrei. Eine schwere Eingangstür hätte Frau S. allein niemals öffnen können, die Türschwelle war ohne Hilfe kaum zu überwinden, der Flur so eng, dass es gerade für einen Rollstuhl reichte.

Diese Erfahrung zeigte anschaulich, dass das Amtsgericht Syke für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrerinnen gar nicht zugänglich ist. Sowohl im Nebengebäude als auch im Hauptgebäude sind wichtige Büros und Sitzungssäle in den oberen Geschossen untergebracht. Einen Aufzug gibt es nirgendwo.Auf der Webseite des Amtsgericht beteuert man zwar, sich um man sich um Lösungen bemühen zu wollen. Leider sind aber bis heute keinerlei Bemühungen erkennbar, diese unerträgliche und menschenverachtende Situation zu verändern.

Der Fall von Frau S. ist kein Einzelfall. Sieht man sich die Liste der Aufgaben an, für die das Amtsgericht zuständig ist, wird schnell deutlich, dass alle Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, egal ob Kunden oder Mitarbeiter, betroffen sind. Wie so oft werden unerfüllbare Auflagen des Denkmalschutzes und fehlende finanzielle Mittel als Grunde vorgeschoben.

Meiner Meinung nach wird hier gegen das Grundgesetz und die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) verstoßen, die sowohl die Bundesrepublik als auch das Land Niedersachsen unterzeichnet haben. Der Verweis auf den Denkmalschutz ist ein äußerst schwaches Argument. Zeigt doch eine Handreichung des Bundeskompetenzszentrums Barrierefreiheit viele gute Beispiele, dass Denkmalschutz und Barrierefreiheit sich nicht ausschließen müssen.

Fazit:

Damit sich etwas ändert, ist es wichtig, dass Bauherren den Willen haben, eine Zugänglichkeit für alle zu ermöglichen, innovative Ideen zu entwickeln und mit den zuständigen Denkmalschutzbehörden konstruktive Gespräche zu führen. Erst dann wird die Umsetzung der BRK in kleinen Schritten vorangehen.

© Birgit Brink, Juli 2013

Ein Gedanke zu „Geht nicht, gibt’s nicht!“

  1. Eine haarsträubende Geschichte!

    Hier ist mal ergänzend der vom Gericht veröffentlichte Link zur Barrierefreiheit: Zugänglichkeit der einzelnen Gebäude

    Alle wichtigen Anlaufstellen sind demnach nur über Treppen erreichbar. Tja, da kann man nur hoffen, dass man als Rollstuhlfahrer nie zum Gericht muss.

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