BTHG – meine Einschätzung

Seit einiger Zeit verfolge ich die Diskussionen zu Änderungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) und mir fiel es sehr schwer Stellung dazu zu beziehen. Ist es eine grosse oder winzig kleine Reform? Viele Kommentare habe ich inzwischen dazu gelesen und am besten gefällt mir der gemeinsame Kommentar von Raul Krauthausen und Nina Apin: „Das Bundesteilhabegesetz ist nur ein Reförmchen der bisherigen Gesetzgebung. Und ein Rückschritt in Sachen Inklusion und Teilhabe“

Während sich die Bundesarbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles über „eine der größten sozialpolitischen Reformen in dieser Legislaturperiode“ freut, finden die behinderte Menschen nach einem jahrelangen Beteiligungsverfahren und Beratungen über das Gesetz nun eine Scherbenhaufen vor. Denn das Teilhabegesetz ist ein Rückschritt in Sachen Inklusion und Teilhabe!

  • Zwar dürfen behinderte Menschen künftig mehr Einkommen verdienen und etwas mehr Vermögen ansparen, die Unterstützungsleistungen für sie bleiben aber von der eigenen finanziellen Situation abhängig. Betroffene müssen sich weiterhin an den Kosten ihrer Assistenz beteiligen.
  • Glücklicherweise wird die sogenannte 5-aus-9-Regel nun zwar nicht direkt eingeführt. Die Regel hätte bedeutet, dass behinderte Menschen keine Unterstützung erhalten, wenn sie nicht behindert genug sind, und zum Beispiel nur in 3 von 9 „Lebensbereichen“ eine Beeinträchtigung haben. Vom Tisch ist die Regel aber nicht, denn bis 2023 wird weiter evaluiert und sie eventuell später doch noch zum Gesetz. Damit könnten auch in Zukunft Betroffene ihren Anspruch auf Hilfen verlieren.
  • Das sogenannte Pooling ermöglicht das Zusammenlegen von Unterstützungsleistungen für mehrere Personen gleichzeitig auch gegen den Willen der Betroffenen. Es kann also dazu führen, dass behinderte Menschen sich ihre Assistenzen miteinander teilen müssen. Will beispielsweise einer mit Freunden ins Kino gehen und der andere zu Hause bleiben, würde einer von beiden den Kürzeren ziehen.
  • Wird eine Unterbringung in einer speziellen Wohnform, etwa einem Wohnheim, für den Betroffenen vom Sozialamt für zumutbar erachtet und ist diese gleichzeitig günstiger, so können auch in Zukunft Betroffene gegen ihren Willen in Heimen untergebracht werden.

Am Ende bleibt festzuhalten, dass das Bundesteilhabegesetz nicht mehr als ein Reförmchen der bisherigen Gesetzgebung ist. Das große Versprechen, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen und die UN-Behindertenrechtskonvention acht Jahre nach der Ratifizierung auch in Deutschland endlich gelebte Praxis werden zu lassen, wurde nicht eingehalten.

Am 16. Dezember 2016 wird der Bundesrat dem vom Deutschen Bundestag am 1. Dezember beschlossenen Gesetzentwurf zum Bundesteilhabegesetz zustimmen. Mit so einer Zustimmung sollte man sich nicht einfach abfinden und das Gesetz zu den Akten legen.

Das vielfältige Engagement zeigt, dass es sich lohnt, den Kampf um das BTHG fortzuführen . Die Aktionen von www.nichtmeingesetz.de bzw. www.abilitywatch.de müssen dringend weitergehen.

Meine eigene Erfahrung ist, dass sich Politiker oft nicht in das Leben behinderter Menschen einfühlen können oder wollen. Deshalb fällt es ihnen schwer, sich für deren Belange einzusetzen. Das ist bestimmt ein Ergebnis der gelebten Trennung von behinderten und nicht-behinderten Menschen. Auch in meinem Leben hatte ich wenig Berührungen mit behinderten Menschen und mache seit 15 Jahren diese Erfahrungen aus eigener Betroffenheit. Vgl. dazu: http://blog.behindernisse.de/2014/08/13/inklusion-frueher-ein-fremdwort-und-heute/.

Ich wünsche mir, das die konsequente Trennung von behinderten und nicht behinderten Menschen endlich aufhört, denn nur so können alle voneinander lernen und ihr Leben bereichern.

Copyright: Jörg Farys | Gesellschaftsbilder.de

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