Spannend, Arturs Beobachtungen auf seinem Weg zur S-Bahnstation. Ich stelle mir vor, diese Rollifahrerin zu sein, die seinen Weg kreuzt. Wie ist der Weg für mich? Was fällt mir auf?
Nach einer Stippvisite in der Neuen Flora geht es zur S-Bahnstation auf der anderen Straßenseite. Ich wusste schon vormittags, dass ich von der Holstenstraße zum Hauptbahnhof fahren werde. Also hatte ich auch schon vorher auf der HVV-Webseite im Internet gecheckt, ob alle Aufzüge, die ich brauche, funktionieren. Grünes Licht, sie funktionieren. Aber kein Hinweis, dass der Aufzug an der Holstenstraße bestialisch stinkt.
Der Geruch kriecht mir schon von weitem in die Nase. Am liebsten hätte ich einen anderen Weg genommen und wär gar nicht eingestiegen. Aber einen anderen Weg zum Bahnsteig gibt es für mich nicht. Mit einigen Verrenkungen erreiche ich den Knopf, um die Aufzugtür zu öffnen. Ich versuche, „wegzuriechen“. Im Aufzug höre ich, dass mir gerade eine Bahn vor der Nase wegfährt. Mist. Naja, zum Glück kommt die nächste in 10 Minuten.
Oben angekommen, rolle ich schnell aus dem übelriechenden Kasten und genieße die frische Luft draußen. Es hat keinen Sinn, sich zu ärgern. Gemütlich fahre zum Zuganfang. Nur dort gibt es bei den S-Bahnen eine Rampe, die mir das Einsteigen ermöglicht. Zum Glück sind nur wenig Leute auf dem Bahnsteig. Nur einmal muss ich darum bitten, vorbeigelassen zu werden. Die übliche Reaktion: ein erschrockenes Beiseite hüpfen, als ob ich ein Zombie wäre, dem man besser nicht begegnen sollte.
Als die nächste Bahn einfährt, winke ich dem Zugführer zu. Nicht, weil ich ein so freundlicher Mensch bin, sondern um ihm zu signalisieren, dass ich mitfahren möchte. Er hat mich gesehen, seine Mundwinkel verziehen sich leicht nach oben und er nickt kurz. Ja, so ist das bei den S-Bahnen. Um als Rollstuhlfahrer einsteigen – äh -rollen – zu können braucht man eine Rampe und die ist im ersten Wagen verstaut. Den Schlüssel hat nur der Zugführer. Nachdem die Bahn steht und die Türen offen sind, kommt er schnell aus seinem Kasten, holt die Rampe aus ihrem Safe und legt sie an. Das alles passiert in Windeseile. Nur noch die Frage, wo ich wieder aussteigen werde, ein kurzes Lächeln und Danke und es kann losgehen.
Ich bin froh, dass es zum Job des Zugführers gehört, die Rampe anzulegen. Wäre sie frei zugänglich, würde sie vielleicht so aussehen wie der Aufzug oder wäre gar nicht da. Oder ich darauf angewiesen, einen hilfsbereiten Mitfahrer zu finden, der sie für mich anlegt. Bei jeder Bahnfahrt müsste ich immer wieder die erforderlichen Handgriffe erklären. Und was ist, wenn keiner helfen mag? Klar, es gibt auch mürrische Zugführer, aber über die könnte ich mich bei der S-Bahn Hamburg beschweren, über schlechtgelaunte Mitfahrer nicht.
Lieber wäre mir natürlich, wenn der Abstand zwischen Bahn und Bahnsteigkante so gering wären, dass ich überhaupt keine Rampe bräuchte, in jeden Wagen einsteigen könnte und mir nicht immer vorher überlegen müsste, wann ich aussteige. Ohne genaue Planung geht nichts! Wenn ich unterwegs bin, konzentriere ich mich auf meinen Weg und weniger auf meine Umgebung. Dauernd überlege ich, wie ich heil in die Bahn komme. Ausschnaufen!? Zeit und Muße, andere Leute zu beobachten habe ich erst, wenn ich einen Platz in der Bahn gefunden habe. Am Zielbahnhof angekommen, ist die Zeit für Muße schon wieder vorbei.
Birgit Brink, Februar 2014