Angefangen hatte es mit dem Virus im Dezember 2019 im fernen China. Mein erster Gedanke war: China ist so weit weg, das trifft uns niemals. Falsch gedacht. Das Corona-Virus Sars CoV II tauchte zum ersten Mal auf einem Markt in der Millionenstadt Wuhan im fernen China auf und verbreitete sich mit einer rasenden Geschwindigkeit über die gesamte Welt. COVID-19 hieß die neue Atemwegserkrankung, die durch das Virus ausgelöst wurde. Sie entwickelte sich im Januar von einer Epidemie in China zu einer Pandemie. Damit einher ging die weltweite Forschung, wie man die Ausbreitung eindämmen und die Krankheit behandeln könnte. Die Suche nach einem wirksamen Impfstoff begann.
Für mich fühlte es sich im März an, als ob auch das Virus weit weg sei, kannte ich doch niemanden, der/die direkt betroffen war. Es kam näher, als mein Mann von einem infizierten Kollegen erzählte und meine Freundin von der Erkrankung ihres Mannes berichtete. Ich war mir sicher, als 55-jährige Rollstuhlfahrerin mit der chronischen Krankheit MS gehörte ich zur Gruppe der sogenannten RisikopatientInnen. Infiziere ich mich und erkranke, verläuft COVID 19 wahrscheinlich problematischer als bei einem gesunden Menschen. Auch die Vorstellung, als Rollstuhlfahrerin mit Pflegegrad 3 in einem überfüllten Krankenhaus mit überarbeitetem Personal sein zu müssen, machte mir Angst.
Blick in die Zukunft
Ich wollte mich nicht infizieren und zur weiteren Verbreitung des Virus beitragen. Mein Mann dachte ähnlich, also blieben wir in freiwilliger Quarantäne zu Haus, trafen so wenig Menschen wie möglich und hielten Abstand.
Mit der Angst waren wir nicht allein. Argwöhnisch wurde das exponentielle Wachstum der Zahl der infizierten und sterbenden Menschen in Hamburg, Deutschland und der Welt beobachtet. Viele waren unsicher, wie es weitergehen würde. Gleichzeitig verbreiteten sogenannte Corona-LeugnerInnen ihre Verschwörungstheorien über die willentliche Verbreitung dieses Virus, der die Weltbevölkerung vernichten sollte. Die Einsicht fehlte, dass die Eindämmung der Pandemie nur gelänge, wenn Menschen solidarisch handeln und das gleiche Ziel verfolgen. Ich hatte das ungute Gefühl, der Gefahr Corona hilflos ausgeliefert zu sein, weil einige Menschen die Gefahr gar nicht sahen und sich unsolidarisch und egoistisch verhielten.
Eine zündende Idee, wie die Pandemie besiegt werden könnte, hatte niemand. Jeder eingeschlagene Weg war ein Versuch, die Ausbreitung zu bremsen. Das gesamte öffentliche Leben stand plötzlich still. Viele Menschen verloren ihren Arbeitsplatz, wurden in Kurzarbeit oder ins Heimbüro geschickt. Veranstaltungen wurden abgesagt, Unterricht in Schulen fand nicht mehr statt, Geschäfte mussten schließen. Lediglich die Grundversorgung der Bevölkerung wurde aufrechterhalten.
Immer wieder wurde betont, dass jede veranlasste Maßnahme befristet sei. Es wurden Verhaltensregeln erlassen, die zum Teil wirkungsvoll und teilweise nicht immer nachvollziehbar waren.
Meine Rettungsanker
Für mich änderte sich nicht allzu viel. Meine Rente wurde weiter rechtzeitig überwiesen, die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs war jederzeit möglich, mein Pflegedienst und meine Verhinderungspflegerin wollten mir weiterhin zur Verfügung stehen. Mein Mann arbeitete täglich in seinem Heimbüro und war da, wenn ich seine Hilfe benötigte. Es gab niemals eine Ausgangssperre, wir konnten jederzeit die Wohnung verlassen.
Mir war bewußt, dass das Virus nicht einfach verschwinden würde und ich wollte unbedingt lernen, mit der Corona-Angst zu leben. Während einige Menschen ihre Angst mit unsinnigen Hamsterkäufen von Toilettenpapier, Desinfektionsmittel, Hefe und Mehl kompensierten, halfen mir sachliche, fundierte Informationen, die darauf verzichteten, Panik zu schüren.
- Zu meiner bevorzugten Quelle gehörte z. B. das tägliche Coronavirus-Update mit Christian Drosten im NDR von Februar bis Juli 2020.
- Entspannung brachte mir, den Hauskonzerten von Igor Levit zu lauschen.
- Äußerst angenehm fand ich die kontaktlose Übergabe von Lieferungen aller Art.
- Man bemühte sich, voneinander Abstand zu halten. Hände schüttelte man nicht mehr.
- Das samstägliche Gärtnern im Stephanusgarten bot die Möglichkeit, liebe Nachbarn zu treffen und miteinander zu quatschen.
Das Corona Update von Christian Drosten
Ich informierte mich regelmäßig im Corona Update von Christian Drosten. Der Virologe beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Corona Viren und hat einen international anerkannten Ruf. In seinem Fokus stehen die aktuellen Forschungen und Entwicklungen.
Seine Art, komplizierte Fakten auf einfache und verständliche Weise zu erklären, sprach mich an. Seine sachlichen und nachvollziehbaren Erklärungen nahmen mir ein wenig die Angst vor dieser unsichtbaren Gefahr. Ich verstand, warum Abstand halten so wichtig ist, um Übertragungen zu vermeiden. Während ich ganz am Anfang jeden Kontakt völlig vermied, entschied ich nach zwei Wochen, den Mitarbeiterinnen meines Pflegedienstes zu vertrauen und sie wieder ins Haus zu lassen und mich beim Duschen unterstützen zu lassen.
Links:
https://www.tagesschau.de/inland/grimmepreis-105.html
Webinar mit Dr. Dieter Pöhlau
Außerdem beruhigte mich die Aussage des führenden Neurologen Dr. Pöhlau in einem Webinar „Corona und MS“ des DMSG Landesverbandes NRW. Meine Erkenntnisse waren:
- Mit meiner Form der MS gehöre ich nicht unbedingt zur Gruppe der RisikopatientInnen.
- Das Einhalten von Verhaltensregeln (Abstand von anderen Menschen halten, enge und ungelüftete Räume meiden und Mund-Nasen-Schutz tragen) schützt mich und meine Umgebung.
- Die Geschwindigkeit, mit der sich das Corona-Virus ausbreitet und CoViD-19 stellt die ganze Welt vor große Herausforderungen. Noch gibt es keine allgemeingültigen Wege, sich vor Infektionen durch Impfungen zu schützen oder infizierte Menschen zu behandeln.
- Die Weltbevölkerung sucht geeignete Wege, die Corona—Krise mit möglichst wenig Schaden zu überstehen.
Diese Erkenntnisse gaben mir die Geduld und Gelassenheit, mir neues Verhalten anzugewöhnen und Regeln einzuhalten. Ich hatte das Gefühl, durch mein Handeln auch Verantwortung für mich zu übernehmen.
52 Hauskonzerte von Igor Levit
Um die Verbreitung des Corona-Virus zu bremsen wurden am 12. März alle öffentlichen Veranstaltungen für eine ungewisse Zeit verboten. Für Igor Levit, dem jungen Starpianist aus Hannover, und alle anderen Kunstschaffenden bedeutete das die Absage aller Konzerte und Auftritte. Von heute auf morgen fielen alle Möglichkeiten weg, vor Publikum aufzutreten. Ein großer Einschnitt für ihn, war er doch daran gewöhnt, von einem Konzertsaal zum anderen zu reisen und Zuhörer mit seinem virtuosen Spiel zu begeistern.
Da er nicht auftreten durfte überlegte er, ein Hauskonzert zu veranstalten. In seiner Wohnung stand sein Flügel, ein iPhone, sein ständiger Begleiter, nutzte er zum Aufnehmen seines Spiels, ein Mikrophon war schnell gekauft. Eine Freundin erklärte ihm, wie das mit dem Streamen funktioniert. Über Twitter und Instagram wurde dann das erste Hauskonzert gestreamt. Nun konnten ihm seine Follower live zuhören und beim Klavier spielen beobachten.
Die Hauskonzerte von Igor Levit sprachen sich schnell herum. Die Zahl der Zuschauer wuchs stetig, Medien berichteten darüber. Vorteil der Konzerte war für ihn, dass das Programm nicht von anderen bestimmt und organisiert wurde. Er konnte spontan entscheiden, was er spielen wollte. Den Applaus seiner ZuhörerInnen hörte zwar nicht, fand aber begeisterte Kommentare auf seinen Twitter- und Instagram-Accounts. Die insgesamt 52 Hauskonzerte werden in die Geschichte der Corona-Pandemie eingehen.
Links:
https://www.hr2.de/podcasts/igor-levits-hauskonzerte—in-socken-und-mit-grossem-echo,audio-36252.html
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-levit-hauskonzerte-100.html
Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, jeden Abend mit mir unbekannten Menschen in der ersten virtuellen Reihe auf der linken Seite zu sitzen, zu quatschen und zu lauschen. Wir amüsierten uns über seine braunen Hausschlappen, nahmen seine Stimmung wahr und kommentierten sie. Es gab Fragen zu dem Bild, welches über seinem Flügel hing. Einige genossen ein Hauskonzert mit einem Glas Wein in der Hand. Ich genoss es, an diesen Konzerten teilnehmen zu können, ohne mich erkundigen zu müssen, wie ich dahin komme und ob es einen Platz für Rollstuhlfahrerinnen gäbe, der noch nicht verkauft sei. Dieses Erlebnis 52mal genießen zu können war etwas ganz Besonderes.
Kinofilme auf dem Sofa gucken
Auch der Filmraum, unser Wohnzimmerkino nebenan, musste seine Räumlichkeiten schließen. Es gab und gibt die Möglichkeit, Filme zu streamen und dann auf dem heimischen Fernseher zu gucken. Ähnlich wie bei den Hauskonzerten von Igor Levit musste ich mir keine Gedanken machen, ob das Kino stufenlos erreichbar sei und es ein Rolli WC gäbe. Nachteil war, dadurch dass es keinen festen Starttermin gab, verschoben sich die Sofakinoabende immer weiter nach hinten und der Wecker klingelte trotzdem um 6:45 Uhr. Beängstigend war, dass es keine Einnahmequellen für den Filmraum gab.
Lieferservice
Lebensmittel hatten wir hin und wieder schon oft beim www.gut.wulksfelde.de bestellt und liefern lassen. Corona hat uns, wie viele neue Kunden, dazu gebracht, nahezu wöchentlich zu bestellen. So mussten wir ins nicht im Supermarkt anstellen und Einkäufe nach Hause tragen.
Abendessen von Restaurants aus der Umgebung
Die Tatsache, dass viele Restaurants einen Lieferservice anboten gab mir die Möglichkeit, verschiedene Restaurants kennenzulernen, die ich niemals besuchen würde, weil sie Stufen am Eingang oder keine Rolli Toilette haben. Für viele Restaurants war der kurzfristige Aufbau eines Lieferservice eine kleine Möglichkeit, Einkommen zu erzielen und im Gespräch mit ihren KundInnen zu bleiben. Für mich war es die Möglichkeit, neue Geschmacksrichtungen kennenzulernen.
Spaziergänge durch den Kleingarten
Ein Spaziergang durch den Kleingarten gehörte fast zum regelmäßigen Ritual. Die gewohnte Runde wurde vergrößert. Wir gingen über das Kleingartengelände am Wasserturm und dann den Brehmweg entlang wieder zurück nach Hause. Für Henrik ist es ein Spaziergang, für mich eine Runde mit in dem Handbike.
2 Stunden gärtnern im Stephanusgarten
Nach wie vor sind wir jeden Samstagnachmittag für 2 Stunden in den Stephanus Garten gegangen zum Müll sammeln oder Pflanzen gießen. Schön fand ich, Nachbarn zu treffen und zu sehen wie der Garten von vielen Nachbarn aus der Umgebung angenommen wurde. Gewöhnungsbedürftig fand ich die Tatsache, dass ich immer von den Anderen Abstand halten mussten. Vermisst hatte ich außerdem die Kaffeepause bei Natalie und Frank.
Fazit
Ich hatte das Gefühl, die Welt musste für einen Augenblick innehalten. Menschen waren weniger unterwegs mit dem Auto oder Flugzeug. Insgesamt wurde es in meiner Umgebung ruhiger. Statt dröhnende Flugzeuge hörte man piepsende Vögel. Menschen waren rücksichtsvoller und hielten Abstand. Viele betonten, was für eine komische Zeit das sei und hofften, sie wäre bald vorbei.
Man spürte die wachsende Ungeduld und den Wunsch nach Lockerung der Corona-Verhaltensregeln. Die Sommerferien rückten näher und viele Menschn wünschten sich sehnlichst Urlaub und Ablenkung vom Pandemie-Stress. Im Sommer sollte es endlich wieder so werden, wie es im Sommer 2019 war, ohne Reisebeschränkungen, Kontaktbeschränkungen, Abstandsgebote und Mund-Nasen-Masken. Es gab einige Lockerungen, mit Einschränkungen war Urlaub wieder möglich. Auch dies war ein Experiment. Nach den Ferien wollte man erneut einschätzen, wie sich die Pandemie entwickeln würde.
Bei mir blieb die Angst mich zu infizieren, meine Aktivitäten werden eingeschränkt bleiben unter Berücksichtigung der AHA-Regel. (A-bstand, H-ygiene, A-lltagsmaske).
Mit Spannung erwartete ich das Ende des Sommers 2020.
(c) Birgit Brink, August 2020
Danke für diesen tollen Blog. War sehr interessant zu lesen . Weiter so.
Danke für den Motivationsschub. Ich werde weiterschreiben