Kindern Wärme und Geborgenheit geben!

6 Uhr, der Wecker klingelt. Lukas muss aufstehen. Die 52-jährige Claudia lebt mit ihrem Teenager-Sohn in einem idyllischen 6000-Seelen Dorf in Brandenburg. Hier findet man hauptsächlich Einfamilienhäuser, mehrere Supermärkte, eine Postfiliale, eine Sparkasse, ein Rathaus und viel Natur.

In der Woche ist der Morgen gut durchgeplant. Um 6 Uhr steht Lukas auf und macht sich für die Schule fertig, um 6:30 Uhr ist die Nacht für Claudia vorbei. Noch schnell einen Kaffee, das Mittagessen vorbereiten, ein wenig Hausarbeit. Lukas geht um sieben, Claudia fährt gegen acht mit ihrem Auto zur 7 km entfernten Bahn-Station, um die nächste S-Bahn nach Berlin zu erwischen. Sie genießt die Stunde Lesen in der Bahn, ein Buch hat sie immer dabei.

Claudia arbeitet in einem Frauenhaus im Norden Berlins. Auf ihrem Weg dahin holt sie bereits die Post der Frauen aus einem Postfach ab, fährt dann noch 3 U-Bahnstationen weiter. Die Adresse des Frauenhauses ist der Öffentlichkeit nicht bekannt. Die Frauen sollen von niemanden gefunden werden. Viele sind mit ihren Kindern vor ihren gewalttätigen Männern an diesen Ort geflohen.

Am Ziel angekommen, schaut Claudia zuerst in den Betreuungsbereich. Heute sind 10 Kinder da, für die sie heute kochen wird. Auf dem Speiseplan, den sie jeden Freitag für die kommende Woche zusammenstellt, steht Gemüsepfanne mit Nudeln und Gurkensalat. „Ich bin überrascht, aber die meisten Kinder sind überhaupt nicht mäkelig. Sie mögen mein Essen, der Hit ist Gurkensalat. Meine Kinder waren da ganz anders“ lacht sie. Dank guter Planung sind fast alle Zutaten da, nur Joghurt für das Salatdressing fehlt noch. Den besorgt sie schnell im Supermarkt um die Ecke. Beim Kochen ist sie allein in der riesigen Wohnküche.

Um 12 Uhr ist das Essen fertig, 10 hungrige Kinder und zwei Betreuerinnen stürmen an den Tisch. „Das gemeinsame Mittagessen ist bei fast allen Kindern sehr beliebt und wir hoffen, ihnen damit eine gute Gewohnheit für ihr Leben mitzugeben.“. Claudia liebt ihre Arbeit. Sie gibt ihr das gute Gefühl, Kindern, die gerade in einer Ausnahmesituation leben, etwas Wärme und Geborgenheit zu geben. Eine Erfahrung, die sie als Kind nie machen durfte.
Das Leben im Frauenhaus ist ständig in Bewegung. Frauen, die von häuslicher Gewalt bedroht sind und dringend einen Ruhepol brauchen, kommen und gehen. Einige bleiben nur eine Nacht, andere Monate. Es sind Frauen verschiedenster Nationalitäten, sie sind jung oder alt, haben oft keine eigenen Einkünfte, keine Berufsausbildung, geschweige denn einen Arbeitsplatz.

Claudia weiß aus eigener Erfahrung, wie Veränderungen an den Kräften zehren können. Wichtig ist eine gute Unterstützung. Nach 30 Ehejahren bat sie ihren Exmann, das gemeinsame Haus zu verlassen. Er hatte sich in eine andere Frau verliebt, wollte seine Frau die seit vielen Jahren Multiple Sklerose (MS) hat, aber nicht allein zurücklassen. Er traute ihr nicht zu, das Leben eigenständig organisieren zu können.

Dieses Mitleid weckte ihren Kampfgeist. Mit viel Kraft und der Hilfe von Freunden schaffte sie es, sich zu trennen. Heute sind die beiden geschieden, Claudia lebt mit ihrem Sohn Lukas allein im eigenen Haus.

Der Job im Frauenhaus ist eine sogenannte „geringfügige Beschäftigung“, sie arbeitet 12 Stunden pro Woche, ist aber oft viel länger im Einsatz, und verdient 400 Euro im Monat. Trotz des niedrigen Lohns, Claudia arbeitet gern dort, wo ihre Hilfe gebraucht wird. Früher war ihr Exmann der Hauptverdiener, sie kümmerte sich um die sieben Kinder. Die Gelegenheit, eine Berufsausbildung zu absolvieren, gab es nie, die MS kam dazwischen. Heute ist sie die Hauptverdienerin (mit 400 Euro?) und will Lukas unterstützen, ein selbstbewusster Mann zu werden. Er soll, wie seine sechs Geschwister, einen guten Weg ins Leben finden.

Claudias Angst ist, „ihre MS könne sich so verschlimmern, dass sie das alles nicht mehr schaffe“. Vor einigen Jahren war sie ständig auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen und weiß wie es ist, auf Hilfe angewiesen zu sein. Heute kann sie mit Einschränkungen gehen und freut sich, für die Kinder im Frauenhaus da sein zu können. Obwohl die Angst sie manchmal lähmt, schaut sie zuversichtlich in die Zukunft.

Birgit Brink, September 2011

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